Mit dem Überlebenswillen von Neandertalern

Totgesagte leben länger: Energie Bitzius gewinnt die Partie gegen 5ème Étage in extremis 3:2 und hält so den Glauben an den Klassenerhalt aufrecht.

Von Dennis Bühler, #20

Dimitri Heimlicher stiess einen Urschrei aus, zog das Trikot über den Kopf und rannte wie von Sinnen mit nacktem Oberkörper einmal quer über das Spielfeld auf der Berner Allmend. Was war geschehen, dass der sonst so besonnene Hüne und mit ihm das gesamte Team von Energie Bitzius derart aus der Fassung geriet?

 

Es war nicht die Aussicht auf die Pokalübergabe, die kurz darauf erstmals seit Generationen wieder in der benachbarten Heimstätte der Young Boys vonstatten gehen sollte, die Heimlicher derart ausflippen liess; auch Restalkohol soll dem Vernehmen nach keine Rolle gespielt haben. Vielmehr war die Flitzerei des Bitzius-Abwehrchefs der Höhepunkt einer Schlussphase, die es in sich hatte: Erst pfiff der über weite Strecken gute Schiedsrichter des FC Spartak Bern in der 89. Minute mutig einen Elfmeter für die Energie, nachdem einem Spieler von 5ème Étage der Ball unglücklich an die Hand gesprungen war. Bitzius-Stürmer Sebastian Gänger stellte sich der Herausforderung – und scheiterte in Hoarau-Manier. Sprich: kläglich. Gänger scheiterte wohl nicht zuletzt deshalb, weil er sich noch während des Anlaufens ohne Not umentschied. Statt wie noch vor Spielbeginn erfolgreich geübt scharf ins linke Eck zu schiessen, geriet sein Rückpass zur dankbaren Aufgabe für den gegnerischen Torhüter.

 

Ein jubelnder Neandertaler…

Trotz dieses Rückschlages zur Unzeit steckte die Energie, die im Abstiegskampf dringend auf einen Vollerfolg angewiesen war, nicht auf. Im 2-4-4-System rannte sie auch in der Nachspielzeit an und kam zu einigen guten Gelegenheiten. Dennoch schwang auch bereits eine gute Prise Verzweiflung mit, als die Männer in Hellblau in der 92. Minute eine womöglich letzte Flanke in den Strafraum von 5ème Étage schlugen. Dort setzte sich der unermüdlich kämpfende Heimlicher clever gegen seinen Gegenspieler durch und köpfte den Ball aus drei, vier Metern ins Netz.

 

Dem unbändigen Jubel in Neandertaler-Manier folgte richtigerweise die Gelbe Karte, die sich im Abstiegskampf noch als verheerend erweisen könnte, die kurzfristig aber ohne Folgen blieb: Vier intensive Minuten später war Energie Bitzius der Befreiungsschlag endgültig gelungen.

…und ein schlafender Bär

Knapp zwei Stunden zuvor hatte noch wenig auf einen für die Energie glücklichen Ausgang hingedeutet: Die Partie begann mit einem katastrophalen Fehler von Innenverteidiger Tobias Bär, der den Ball als hinterster Feldspieler vertändelte. (Wenig später tauchte glücklicherweise Bärs bessere und schönere Hälfte auf der Allmend auf, was seine Nerven sichtlich beruhigte – er gehörte fortan zu den besten Spielern der Hellblauen.) Dass der überraschte Étage-Stürmer den Ball nach Bärs Geschenk freistehend und aus einer Distanz von nur gerade fünf Metern am Tor vorbeischob, war pures Glück.

 

Eine Viertelstunde später war Fortuna der Energie nicht mehr hold: Eine Bogenlampe aus rund 40 Metern flog über den verdutzten Bitzius-Goalie Kevin Franz hinweg zum 1:0 für 5ème Étage ins Tor. Der Tabellendritte wollte mit der Führung im Rücken offensichtlich nicht höher hinaus, sondern verschrieb sich nun ganz der Defensivarbeit. Mit Erfolg: Obwohl alleine Energie-Aussenläufer Moritz von Graffenried zu drei aussichtsreichen Chancen kam und Simon Baumgartner einen Kopfball nur knapp übers Tor setzte, blieb die knappe Führung bis zur Pause bestehen. Auch deshalb, weil von Graffenried in der Nachspielzeit einen Schuss Manuel Aeplis kurz vor der gegnerischen Torlinie «rettete».

Spahrs Einzelleistung

In der 55. Spielminute war es erneut der Sohn des Stadtpräsidenten, der sich die Haare raufte: Freistehend vergab er im Anschluss eines Eckballs aus kurzer Distanz. Angesichts der bis dahin pitoyablen Chancenauswertung der Energie musste der Ausgleichstreffer fast schon auf kuriose Weise fallen. Und tatsächlich: Nach einem harmlosen Rückpass schoss der technisch limitierte 5ème-Goalie Bitzius-Stürmer Fabian Spahr an, von dessen Rücken kullerte der Ball ins Tor – 1:1.

 

Eine Zeigerumdrehung später allerdings stellte 5ème mit dem schönsten Angriff der Partie den Vorsprung bereits wieder her: Nach einer massgeschneiderten Flanke köpfte der Stürmer gegen die Laufrichtung von Goalie Franz zum 2:1 ein. Einer Einzelleistung Fabian Spahrs war es zu verdanken, dass Bitzius erneut ins Spiel zurückfand. Zehn Minuten vor Ablauf der regulären Spielzeit schoss die hängende Sturmspitze aus rund 20 Metern für den gegnerischen Torhüter unhaltbar ins rechte Eck. Es folgte die eingangs beschriebene Schlussphase, die in die Klubannalen eingehen wird.

Die letzten Mohikaner

Nach dem Abstieg des Hamburger Sportvereins am Vortag dürfen sich die Mannen von Energie Bitzius als letzte Mohikaner fühlen: Sie gehören nun zum europaweit einzigen Verein, der sich mit dem Etikett «unabsteigbar» schmücken darf. Freilich ist in der laufenden Saison noch überhaupt nichts gewonnen. Im unteren Tabellenmittelfeld liegen etliche Mannschaften nur durch wenige Punkte getrennt. Die Situationsanalyse wird dadurch erschwert, dass die im Abstiegskampf involvierten Vereine unterschiedlich viele Partien ausgetragen haben.

 

Nach Überzeugung des Schreibenden braucht die Energie in dieser Spielzeit noch einen Sieg, um den Klassenerhalt zu sichern: Entweder – und am besten – im letzten verbleibenden Meisterschaftsspiel am 3. Juni gegen Serienmeister Obstberg United; oder dann in der allfälligen Barrage gegen den Tabellendritten der zweiten Liga. Im Falle der Rettung darf dann auch wieder gejubelt werden. Gerne auch oben ohne.

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